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Ulrich Fischer-Weissberger

Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch

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Wolfram Wette zu einem Artikel von Eric Fricke

 

Prof. Dr. Wolfram Wette D-79183 Waldkirch, 4. September 2004

Lieber Herr Fricke,

heute möchte ich zu Ihrem Internet-Beitrag "Ein nicht entnazifiziertes Treppenhaus oder: Wie bewältigen wir die Vergangenheitsbewältigung" (Juli 2004) Stellung nehmen.

Ihr Text wirkt auf mich gut durchargumentiert, kundig und nach keiner Seite hin verletzend. Sie suchen nicht die Kontroverse, sondern halten nach einer allseits akzeptablen Lösung Ausschau. Von einem Konflikt mit der Kriegsgeneration ist in Ihrem Text kaum noch etwas zu spüren. Hitler ist (angeblich) so weit weg wie Napoleon. Darin sind Sie möglicherweise ein typischer Vertreter der so genannten "dritten Generation". Während die geistig rege Schicht der Achtundsechziger die Auseinandersetzung mit der Kriegsgeneration gesucht und geführt hat, um Distanz zur NS-Zeit herzustellen und die Demokratie zu stärken, stellen sich für die Angehörigen der nachwachsenden Generationen viele Fragen anders. Insoweit sie frei von jedem Verdacht sind, nationalsozialistischem Gedankengut anzuhängen, beurteilen sie geschichtspolitische Probleme gelegentlich anders und beziehen eigenständige Positionen. Sie sehen das große Problem des Übergangs von einem persönlichen zu einem kulturellen Gedächtnis, das ohne Zeitzeugen auskommen muss, seien sie Täter, Mitläufer, Opfer oder Widerständige. In Zukunft werden nicht mehr konkrete Menschen mit ihren Erinnerungen die Nazi-Zeit beleuchten können. An ihre Stelle treten die Archivalien, die historischen Darstellungen, die Quellen-Editionen, die Museen - und eben auch Relikte wie die Nazi-Bilder im Waldkircher Rathaus. Das Ganze nennt sich Historisierung.

Sie haben recht: Da das Treppenhaus des Waldkircher Rathauses auch im Jahre 2004 mit zwei großdimensionierten Nazi-Propaganda-Bildern bemalt ist, setzt sich die Stadt Waldkirch dem Verdacht aus, die NS-Vergangenheit nicht mit dem nötigen Problembewusstsein zu behandeln. Ich stimme Ihnen zu: "ein nicht entnazifiziertes Treppenhaus".

Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass das konservative Waldkirch - um einmal diese pauschalierende Bezeichnung zu benutzen - unsere Einschätzung nicht teilt. Dort ist man der irrigen Ansicht, die NS-Propaganda-Gemälde seien entnazifiziert und damit politisch entschärft, weil man die Hakenkreuze, mit denen Schroeder-Schönenberg die Originalbilder einst bestückt hatte, nach 1945 entfernt - übermalt - worden sind. So führte die Waldkircher Verwaltung damals einen alliierten Kontrollratsbeschluss aus, der das Zeigen von NS-Symbolen in der Öffentlichkeit generell verbot. Das Entfernen der Hakenkreuze erschien wohl als die Minimallösung. Am Nazi-Gemälde selbst wollte man damals wie heute festhalten. Ich frage mich seit fast drei Jahrzehnten: Warum? Glaubt die Mehrheit der Waldkircher, die für den jetzigen Zustand verantwortlich ist, mit der Übermalung der Hakenkreuze seien die Bilder in das Erinnerungssegment Malerei verschoben worden? Sieht man denn nicht, dass man es nicht mehr mit einem Dokument, sondern mit einem Fragment, einem Torso zu tun hat? Oder glaubt man, die NS-Propagandabilder ohne Hakenkreuze könne man - archaisch-positiv - in der sehr viel älteren Tradition deutscher Wehrhaftigkeit deuten? Fleißige Bauern und Rüstungsarbeiter, kräftige Vaterlandsverteidiger? Genau so versuchte die NS-Propaganda ja die Aggressions- und Vernichtungspolitik des Regimes zu "verkaufen". Wird die damalige Irreführung noch immer als historische Realität missverstanden? Was mich seit langem irritiert, ist die von keinem Zweifel getrübte Selbstsicherheit, mit welcher die Sprecher der kleinstädtischen Mehrheit in dieser Angelegenheit auftreten. Da können sich englische, französische oder italienische Besucher des Rathauses empören; da kann der von Berlin nach Amerika ausgewanderte jüdische Wissenschaftler Ernest Fontheim sagen, dieses Rathaus betrete er nicht; das kann der Weltkriegsoffizier und Judenretter Heinz Drossel mahnen, welch negatives Image der Stadt durch diese Bilder aufgedruckt werde; da kann professioneller Historiker-Rat gegeben werden. Man weiß es in Waldkirch schon immer besser! "Man ist sich selbst genug", sagte der Waldkircher Schriftsteller Marx Barth schon Anfang der 30er Jahre über die Waldkircher, "und draußen im Rheintal fließt die Welt vorbei".

Es gibt kein ausreichend entwickeltes Gespür dafür, wie diese aggressiven Propagandagemälde auf die überlebenden Opfer der Nazi-Barbarei und ihre Angehörigen wirken müssen, nicht bloß auf die Überlebenden des Holocaust, sondern ebenso auf die Menschen unserer Nachbarländer, die damals von der deutschen Wehrmacht überfallen wurden. Ich denke, wir haben es mit einem mangelnden Problembewusstsein zu tun. Und wir müssen uns natürlich fragen, woher dieses rührt.

Für meinen Geschmack packen Sie sehr viele Probleme in Ihren kurzen Text, die zwar alle irgendetwas mit Erinnerungskultur zu tun haben, aber doch von sehr unterschiedlichem Gewicht sind, und ich frage mich: Warum? Als da sind:

- Nazi-Bilder im Waldkirch Rathaus;

- Belassung von Nazi-Relikten am Entstehungsort oder Musealisierung?

- "Verstrickung" von Firmen wie Porsche, VW, Thyssen, Degussa, Daimler-Benz u.a. in das nationalsozialistische Unrechtssystem;

- personelle Kontinuitäten zwischen NS-Zeit und Bundesrepublik bis in die Gegenwart hinein;

- das Problem des ganzheitlichen bzw. selektiven Erinnerns; - Vermengung von VW, Nazi-Bildern, "Mein Kampf", V 2 und Karl Jäger - zu welchem Zweck? - selektives Erinnern an die "Goldkörnchen", die Helfer und Retter;

- schließlich den Kompromissvorschlag einer Entfernung der NS-Propaganda-Bilder bis auf einen symbolischen Rest.

Wie andere Teilnehmer an der Debatte auch, erwägen Sie, wie hoch man den provokatorischen Charakter der Bilder einschätzen muss. Immer wieder hätten sie zur historisch-politischen Auseinandersetzung herausgefordert und könnten das auch weiterhin tun. Fragt sich nur, von welcher Substanz diese Auseinandersetzung bislang war. Siehe meine Beobachtungen und Fragen auf Seite 1 oder die unbedarften Auslassungen der Waldkircher Geschäftsleute in dem vor kurzem öffentlich gezeigten Video-Film der Schüler des Waldkircher Geschwister-Scholl-Gymnasiums. Würde sich die Qualität der Auseinandersetzung nicht erhöhen, wenn die - auf eine zusammenrollbare Leinwand kopierten - Nazi-Bilder im Museum oder im Gymnasium in Anwesenheit kundiger Fachleute zum Gegenstand historisch-politischer Unterrichtung gemacht würden? Ich glaube nicht, dass man der neuerlichen Kandidatur des vormaligen NSDAP-Bürgermeisters Kellmayer im Jahre 1957 und den vielen Waldkirchern, die ihm erneut ihre Stimme gaben, dadurch gerecht wird, wenn man ihnen "Unverschämtheit" unterstellt oder vorwirft. Meiner Meinung nach verharmlost man damit den Vorgang. Denn entweder dokumentiert dieser anhaltende NS-Nähe eines beträchtlichen Teils der Waldkircher Bevölkerung oder aber ein mangelndes politisches Problembewusstsein bzw. politische Unbedarftheit. Die Frage, ob Waldkirch überall war und ist, kann ich bislang noch nicht abschließend beantworten.

Zum Schluss: Wenn Andere im Städtle auch nur einen Bruchteil der Auseinandersetzung mit der Waldkircher Lokalgeschichte leisten würden, wie Sie es tun, wäre mir wohler. Nur: Die Befassung mit all den wichtigen Themen aus der NS-Zeit, die Sie ansprechen, darf nicht zu einer Relativierung oder gar Entlastung des Karl Jäger führen. Aber das haben Sie wahrscheinlich auch gar nicht im Sinn.

Mit freundlichem Gruß

Ihr

Wolfram Wette