Ulrich Fischer-Weissberger 

Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch

 

Offener Brief des Geschichtsprojekts an die Gemeinderäte im Juli 2005

Sehr geehrte Damen und Herren Gemeinderäte,

Wir vom Geschichtsprojekt des Geschwister-Scholl-Gymnasiums waren sehr froh, dass der Gemeinderat sich nach einer langen Zeit von mehr als 15 Jahren mit den in unseren Augen unsäglichen Nazipropagandabildern beschäftigt hat und so jetzt auch eine wichtige Diskussion um den Umgang mit Relikten aus der Vergangenheit stattfindet.

Natürlich waren wir von der Entscheidung, die Sie mehrheitlich getroffen haben, enttäuscht, denn zu unserem großen Bedauern wurden die Anträge des Jugendgemeinderates abgelehnt. Wir hätten uns eine tiefgreifendere Veränderung gewünscht. Das, was Sie beschlossen haben, nämlich eine Modifizierung der Dokumentation der Bilder, ist für uns ein Zustand, mit dem wir nicht zufrieden sein können.

Die Opfer werden immer noch durch diese Bilder verhöhnt, immer noch findet Nazipropaganda an den Wänden des Rathausflurs statt. Uns ist vollkommen klar, dass es sechzig Jahre nach Kriegsende immer noch sehr schwer ist, sich mit dem dunkelsten und erschütterndsten Kapitel deutscher Geschichte auseinander zu setzten. Wir Waldkircher haben genau wie alle anderen Deutschen diese schwere Last unserer Geschichte zu tragen. Doch es liegt an uns, das „Beste“ aus diesem geschichtlichen Erbe zu machen.

Wir wissen und erkennen die Tatsache freudig an, dass der Gemeinderat versucht, die Waldkircher Geschichte so aufzuarbeiten, dass die Propagandabilder Anlass zur Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazis für alle Bürger und Besucher in Waldkirch sein sollen. So werden auch unsere Kinder und Enkel noch wissen, welch schreckliche und menschenverachtende Nazidiktatur in ihrem Land vor noch nicht allzu langer Zeit geherrscht hat. Nur die Art und Weise, wie dieses geschieht oder geschehen soll, ist für uns nicht nachvollziehbar. Es ist keine Frage, dass wir den demokratischen Beschluss des Gemeinderates anerkennen und respektieren. Wir nehmen uns jedoch trotzdem das Recht heraus Kritik zu üben.

Die Argumente derer, die für einen Erhalt der Bilder plädiert haben, sind für uns schlicht falsch und untragbar. Das Hauptargument für den Erhalt der Bilder ist und war, dass diese Bilder genauso wichtig wie Zeitzeugen sein sollen, welche mahnen und welche zum Denken anregen. Deshalb müssten die Propagandabilder so belassen werden, wie sie jetzt sind. Diese Bilder würden auch in Zukunft die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich anregen. Wir sind hier gänzlich anderer Meinung. Sicherlich, diese Bilder sind (fast) authentische Dokumente der Nazizeit und sicherlich muss man sie erhalten. Doch nicht an diesem Platz. Nicht an dem Platz der kommunalen Demokratie in Waldkirch. Diese Bilder dienten nur einem Zweck: Durch Propaganda und Beeinflussung der deutschen Bevölkerung sollte der verbrecherische Vernichtungskrieg der Nazis mit Mordbefehlen und Vernichtungslagern beschönigt und verklärt werden. Deshalb können diese Bilder nicht mahnen. Sie können auch nicht die Vergangenheit dokumentieren, einfach aus dem Grunde, weil sie nicht die Realität, sondern Naziideologie darstellen.

Unsere Meinung ist nach wie vor, dass diese Bilder in einen geschichtlichen Kontext gestellt werden müssen, was außerdem an einem anderen Platz als im Rathaus besser wäre. Für uns war nie die Rede davon, dass diese Bilder ganz verschwinden sollen. Nein, im Gegenteil: Wir wollten diese Bilder benutzen, um wirklich und authentisch die Deutsche und die Waldkircher Geschichte aufzuarbeiten. So wie die Bilder jetzt sind und bleiben, verherrlichen sie die Nazidiktatur und stellen keinesfalls deren Realität dar.

Was uns allerdings sehr erschreckt hat, ist, dass von denjenigen, die die Bilder so, wie sie sind, erhalten wollen, die noch lebenden Zeitzeugen und Opfer des NS-Terrors kaum oder gar nicht erwähnt oder berücksichtigt wurden. Diese Bilder sind eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus. Keinem Holocaustopfer möchten wir es zumuten, in ein demokratisches Rathaus zu gehen, in dem immer noch Bilder der Öffentlichkeit präsentiert werden, welche die Verbrechen der Nazis verherrlichen.

Die Reaktionen von Arno Lustiger, Juliane Zarchi, Günter Fontheim und Heinz Droßel belegen dies eindrucksvoll. Die Kompromisslosigkeit derer, die im Gemeinderat für den Erhalt der Bilder gestimmt haben, hat uns betroffen gemacht. Wir hatten den Eindruck, dass schon vor der Aussprache im Gemeinderat ihre Meinungen fest standen. Die Diskussion erschien uns nur als eine demokratische Fassade. Zuletzt wollten wir noch anmerken, dass unserer Meinung nach durch diesen Beschluss und durch die Art und Weise, wie er zustande kam, das Ansehen Waldkirchs und seiner demokratischen Kultur erheblichen Schaden genommen hat. Leider wird im Rathaus, dem demokratischen Ort in Waldkirch, immer noch die Naziideologie als Raumschmuck verwendet und der Gemeinderat tut nichts dafür, diese unakzeptable Situation zu ändern.

Das Geschichtsprojekt akzeptiert selbstverständlich die demokratische Entscheidung des Gemeinderats. Wir werden in die Zukunft blicken und werden alles versuchen, die geschichtliche Aufarbeitung der Nazizeit zu fördern und den Menschen zu zeigen, dass man so eine Epoche nie abhaken darf. Wir sind nun sehr gespannt darauf, was der Gemeinderat unternehmen wird, um die Auseinandersetzung und Aufarbeitung der deutschen Geschichte anhand der Nazipropagandabilder im Waldkircher Rathaus zu fördern. Wir hoffen sehr, dass den Ankündigungen auch Taten folgen.

Marco Weber, im Namen des Geschichtsprojektes des GSG Waldkirch