Eine Website zu Projekten aus dem Unterricht und außerunterrichtlichen Bereich von

Ulrich Fischer-Weissberger

Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch

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Wiedersehen mit der Jungfernbrücke
Vom Handeln im Schatten des Todes
 

Heinz Droßel verhinderte 1943 auf der Jungfernbrücke den Freitod seiner späteren Frau, einer untergetauchten Jüdin und Mutter zweier Kinder – das Baby im jüdischen Kranken-haus, der Junge bei Pastor Grueber, der Kinder von Verfolgten betreute. Sie weiß nicht mehr weiter. Heinz Droßel hilft ihr die Nazizeit zu überleben.
Die Rettungstat auf der Jungfernbrücke ist für mich der Lebensnerv des Menschen Heinz Droßel, denn in ihr erscheint sein Schicksal und er greift ein im Schatten des Todes.

Wir, Heinz und eine Schülergruppe mit mir als Leiter in Berlin, treten aus dem Hinterhof hinaus Richtung Alex. Alle sind wir sehr müde, aber auch noch eingefangen in das tiefe Ge-spräch im Museum zum stillen Helden Otto Weidt.
Irgendwie greift die Unruhe über auf mich, Daniel und Alexander sind noch nicht da mit den neuen Filmkassetten. Manche murren leicht, ich höre: „Wir wollen auch was von Berlin se-hen, allein, wie die Gruppe um Mirko.“
Ich entscheide mich. Am Alex schicke ich sie weg: „Schaut euch Berlin an, Viertel vor acht vor dem Theater, bis dann.“
Alle atmen wir auf, die richtige Entscheidung?
Ich nehme Kamera und Stativ. Renate, Stephanie, Heinz und ich, wir gehen essen, direkt ne-ben dem Roten Rathaus. Gespräche über unsere Familien, die Schüler, die Entscheidung.
Ist Heinz nervös? Es scheint mir so.

Dann zu Fuß zur Jungfernbrücke. Durchs alte Regierungsviertel.
Ich mache Aufnahmen von Heinz, im Hintergrund gerade noch zu erkennen: das Brandenbur-ger Tor. Heinz erzählt vom alten Berlin; er redet in seine Angespanntheit hinein, zeigt auf Straßenschilder, Sperlingsgasse, erschrickt über Veränderungen, ja der Nussbaum, eine Knei-pe, dort hatte er ein Bier getrunken, Berliner Weiße, bevor er zur Jungfernbrücke kam.
Dann plötzlich, Heinz bleibt stehen, sagt: „Das ist sie.“, dann geht er auf die Brücke zu; ver-schwindet immer mehr in seiner Erinnerung.
Jetzt steht er auf der Brücke, schaut sich um und geht dann auf die Brüstung zu; sein Blick geht hinunter auf das Wasser, Blätter treiben dahin. Wir sind eingesperrt in das Damals, links das wuchtige DDR-Gebäude, rechts ein Naziklotz.

Wir sind auf der Brücke wie in einer Blase.

Heinz murmelt, seine Stimme wird immer brüchiger: „Und hier wollte sie über das Geländer springen.“ Sein Blick geht weg, hinüber zu ihr, 49 Jahre zurück. Schicksal, oft wird dieses Wort zu leicht gebraucht. Langsam dreht er sich vom Geländer weg, Renate steht neben ihm, auch sie schaut auf das Wasser, dann auf ihn. Er schlurft zur Mitte der Brücke und wendet sich mir zu.

Mit einem gelösten Lächeln flüstert er: „Das war`s.“

Es wird schnell dunkel, die drei entfernen sich zügig, kein Blick zurück.
Ich mache noch letzte Aufnahmen der schönen gusseisernen Zugbrücke; dann packe ich zu-sammen.

Ich hatte mich richtig entschieden.

Mooswaldklinik, 3.8.2002