Eine Website zu Projekten aus dem Unterricht und außerunterrichtlichen Bereich von

Ulrich Fischer-Weissberger

Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch

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aus der BZ: Leserbriefe zu den Nazipropagandabildern im November 2004

 

Entschlossenheit notwendig

Zur Entfernung der "Nazibilder im Rathaus" liegt ein stichhaltiger Antrag des Jugendgemeinderats vor - nach einer von ihm initiierten Veranstaltung, auf der dieses Thema in Zusammenhang mit dem eindrücklichen Film der Geschichts-AG des Geschwister-Scholl-Gymnasiums im Juli bereits aufgerollt und öffentlich zur Diskussion gestellt wurde. Statt die fällige Entscheidung der Stadt womöglich durch weitere Aktionen, wie nun vom Kunstforum angeregt - so einer Ausschreibung zur neuerlichen (künstlerischen) Umgestaltung dieser (der Kunst Hohn sprechenden) Nazi-Propagandabilder - hinaus zu schieben, ist jetzt die Entschlossenheit des Gemeinderats gefragt, die nicht noch eines Bürgerentscheids bedarf. Bleibt zu hoffen, dass die Stadt Waldkirch dem Beispiel ihrer engagierten Jugendlichen folgt und unverzüglich den Mut zeigt, die Darstellung einer krankhaften und menschenverachtenden Geisteshaltung (ob mit oder ohne Denkmalschutz) endlich zu entfernen und die Wandbilder dorthin zu schaffen, wohin sie gehören: In eine Einrichtung für Zeitgeschichte und politische Aufklärung.

Prof. Dr. med. Aloys und Eva-Maria Berg, Waldkirch

 

Schonzeit für die Bilder?

Schonzeit für Nazibilder? Auch so eine Nazi-Hinterlassenschaft: Unter der Schirmherrschaft Hermann Görings wurden in den 40er-Jahren Gemsen im Schwarzwald ausgesetzt. Auch am Kandel findet man diese Tiere, wo sie von Waldkircher Förstern gehegt werden. Gehegt werden auch die Wandgemälde im Waldkircher Rathaus. Schon in den 80er-Jahren wurde bereits heftig über ihren Verbleib diskutiert, die aktuelle Auseinandersetzung läuft nun auch schon wieder ein gutes halbes Jahr. Und nun, wo die Entwicklung in eine Richtung zu steuern schien, mit der jeder hätte leben können - Bilder weg, dafür einen (wie auch immer gearteten) "Denkanstoß" her - kommt der Paukenschlag: Die Schröder-Schoenenbergschen-Machwerke stehen unter Denkmalschutz! Genaues darüber weiß keiner mehr in der Verwaltung. Es sieht indes so aus, als bestünde der Denkmalschutz erst seit dem Ende der letzten Diskussion in den Achtzigerjahren. Wer dafür verantwortlich war, weiß man nicht so recht. Ist ja auch schon lange her, nicht wahr? Wohl aus Angst voreiner erneuten Diskussion, die vielleicht nicht mehr so schnell verebbt, wurde da still und heimlich der Denkmalschutz auf die Nazipropaganda ausgedehnt: Das ist ein Skandal! Sind wir mal bösartig: Die Gemsen am Kandel, deren Vorfahren von den Nazis in den Schwarzwald verschleppt wurden, dürfen während der Jagdsaison erschossen werden. Die Propagandabilder im Rathaus aber stehen unter Denkmalschutz und genießen Schonzeit. Herr, schmeiß Hirn runter!

Eric Fricke, Waldkirch, www.ericfricke.de

 

Authentischer Platz, um Geschichte zu erklären

Der Jugendgemeinderat hat den Antrag eingebracht, dass die Treppenhausbilder von Josef Schröder-Schönenberg im Rathaus entfernt und in einem Museum ausgestellt werden sollen. Die neuerlichen Diskussionen und Beiträge (Professor Wette, Podiumsdiskussion, Video-AG am Gymnasium, BZ-Artikel), die alle eine Entfernung dieser Wandbilder fordern, veranlassen mich zu dieser Stellungnahme.Kurz: ich bin für den Erhalt dieses Zeitdokuments, auch wenn es Anlass zum Anstoß gibt, auch wenn es qualitativ schlecht ist. Ich arbeite seit 22 Jahren als Lehrer für Bildende Kunst am Geschwister Scholl-Gymnasium. Mit jedem Oberstufenkurs Bildende Kunst besuche ich das Treppenhaus, um direkt vor und mit dem Original das Thema "Nazikunst" und "Entartete Kunst" zu behandeln. In aller Regel habe ich pro Schuljahr zwei Oberstufenkurse mit etwa 20 Schülern. Das macht in 22 Jahren insgesamt 880 Schüler. Davon sind etwa 90 Prozent, also 792, zum ersten Mal im Rathaus-Treppenhaus.Für mich sind die Darstellungen von Schröder-Schoenenberg genauso wichtige Zeitzeugen, wie die lebenden Menschen, die in Videos (AG Gymnasium) oder in Dokumentarfilmen (Fernsehen) gezeigt und interviewt werden. Diese Bilder haben ihren authentischen Platz im Rathaus; nur hier kann ich die Blickrichtungen der dargestellten Germanen nach Osten zur aufgehenden Sonne hinter dem Kandel erkennen und die subtile Absicht des Malers aufzeigen, der damit auf den zu erobernden Lebensraum im Osten hinweist. Jeder museale Platz kann diesem authentischen, ursprünglichen Platz nicht gerecht werden.

Eine Abnahme und Restauration der Bilder für ein Museum ist enorm kostspielig und steht in keiner Relation zur wahren Bedeutung. Außerdem bedeuten Präsentation im Museum immer auch eine Wertanhebung und Würdigung des Gezeigten; sie würde einem Museumsbesucher-Publikum vorbehalten und mit Eintrittsgeld verbunden sein. Ich persönlich würde nicht mit Schülern in ein solches Museum gehen, sondern würde für den Unterricht bessere Dia-Projektionen von offiziellen Nazikünstlern zeigen.Solange ich aber Lehrer am Geschwister Scholl-Gymnasium bin, werde ich immer und immer wieder den Unterricht ins Treppenhaus verlagern, um hier am authentischen Platz, mit dem authentischen "Zeitzeuge Wandbild" die Rolle der Kunst in einer rassistischen Ideologie der Nazi-Diktatur aufzuzeigen. Geschichtslehrer des Gymnasiums brauchen lebende Zeitzeugen, Kunstlehrer brauchen die "toten" Bilder und ihre Originalschauplätze. Das eine ist genauso wichtig wie das andere; beides darf in einem politischem, jungen Bewusstsein nicht fehlen.Zum anderen: Ich halte es für junge, politisch aktive Demokraten in einer pluralistischen Gesellschaft zwingend notwendig, mit allen lebenden und "toten" Zeitzeugen so umzugehen, dass man mit ihrer Hilfe Geschichte, Kriege, Katastrophen, Diktaturen, Bombenterror, Massenmord, Ideologie, Rassismus und Verhetzung erklärt und eine Wiederholung zu verhindern sucht. Immerhin gab es nach 1945 mehr als 20 neue Kriege weltweit, und Diktatoren gibt es immer noch. Vielleicht kann ich im Interesse des Jugendgemeinderats handeln und mich deshalb anbieten - so oft ihr wollt und interessierte Gruppen habt -, eine erklärende Führung im Treppenhaus zu leiten.Setzt euch dafür ein, dass dieser authentische Schauplatz mit politischem Leben erfüllt wird und nicht durch ein reines Wand-Weiß den sauberen Charakter von 1000 anderen Treppenhäusern bundesrepublikanischer Rathäuser erhält.

Henning Harrant, OStR Geschwister Scholl-Gymnasium

 

Wo wird an Opfer erinnert?

Ich finde es immer wieder erstaunlich, welche "Argumente" für den Verbleib der Nazi-Propaganda im Waldkirch Rathaus gefunden werden. Mit der Bezeichnung Bilder fängt die Verharmlosung an. Wer die Nazi-Propaganda nicht mit der Brille der damaligen Zeit betrachtet, hat nichts kapiert. Der Verbleib der Nazi-Propaganda und Kriegsverherrlichung im politischen Zentrum der Stadt ist ein permanente Provokation. So wie ein Hakenkreuz immer ein Hakenkreuz bleibt, bleibt eine Nazi-Propaganda immer auch eine Nazi-Propaganda. Dabei spielt es absolut keine Rolle, wie viel Zeit seit der Tat vergangen ist. Der Verbleib der Nazi-Propaganda im Rathaus verurteilt noch immer die Opfer und würdigt die Täter.

Für die Opfer bleibt die Nazi-Propaganda zeitlos. Und Schröder-Schoenenberg war Antisemit (gegen die jüdische Familie Türkheimer), Nationalsozialist (Herausgabe von Propaganda-Flugblätter) und aktiver Kriegsverherrlicher (wollte einen Ehrenheldenhain für die "Helden" aus Waldkirch schaffen), dem nach 1945 auch das aktive und passive Wahlrecht entzogen wurde. Und wer bis heute nicht begriffen hat, dass der Nazi-Mist nicht in ein Parlamentsgebäude gehört, derjenige soll auch keine Ratschläge über irgendwelchen pseudoaufklärerischen Wert, der scheinbar von der NS-Propaganda ausgeht, anderen erteilen. Wo ist das Engagement für die Waldkircher Opfer des Nationalsozialismus? An welcher Stelle wird an die Zwangs- arbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die als Kriegsbeute nach Waldkirch verschleppt wurden und in Waldkirch starben, erinnert?

Wo wird an jene erinnert, die zwangssterilisiert oder Opfer des faschistischen Euthanasieprogramms wurden? Wo wird an die Judenverfolgung in Waldkirch erinnert, die es gab? Wo wird an das Verbot der Waldkircher SPD, KPD und zahlreicher Vereine erinnert? Wo wird an das Gewerkschaftsverbot erinnert? An welcher Stelle wird in Waldkirch an die erinnert, die, nur weil sie eine andere Meinung vertraten, in "Schutzhaft", Zuchthaus und Konzentrationslager waren und ermordet wurden? Ich möchte wiederholt nur einige Namen erwähnen: Hermann Licht, Hermann Krieg, Rudolf Resch, Emilie Walz, Constantin Walz, August Stöhr, Carla Cuntz, Fritz Pfeifer, Franz Pfeifer, Josef Weiss, Josef Ketterer, Hans Dezulian, Georg Biessinger, Anton Töpper, Ludwig Kleebach und andere. Wo ist die Erinnerung an die Deserteure, die in Waldkirch erschossen wurden? Wie wird politisch damit umgegangen, dass einer der größten NS-Massenmörder aus Waldkirch kam?

Es gibt keine Rechtfertigung gegenüber den unzähligen Opfern im In- und Ausland, die einen Verbleib der Nazi-Propaganda der Herrenmenschen im Waldkircher Rathaus rechtfertigen könnten!

Walter Schlecht, Waldkirch, AJZ