Eine Website zu Projekten aus dem Unterricht und außerunterrichtlichen Bereich von

Ulrich Fischer-Weissberger

Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch

Startseite                                               Start-Beruf                                             Sachtexte

 

Kein Essigschwamm für einen alten Juden

Im Vernichtungskrieg

 

Das Gesicht – die Barthaare – die Schläfenlocken – das Haupthaar.

Angenagelt.

 

Heinz erzählt.

Er wirkt sehr selbstbeherrscht, im Klang seiner Stimme schwingt hell die Entrüstung, sein Erzähltempo nimmt zu, ein mattes Aufblitzen stößt gegen die betroffen Wegschauenden.

 

Noch heute die Scham: „Auch ich bin vorbeigegangen.“

Er sagt, für ihn gilt das nicht als Entschuldigung: „Ich hätte ihm nicht helfen können.“

Er denkt, er fühlt das Aber.

Sein Hass auf die Peiniger, seine Verzweiflung vor der eigenen Machtlosigkeit.

Erzwungene Komplizenschaft.

Kein Aufschreien.

 

Die Reihen der Soldaten, die vorbeiziehen. Keiner beendet das Schauspiel. Alle sind Teil der entmenschten, infantilen Grausamkeit.

 

Ich stelle mir vor:

Einer der Peiniger - gerade hat er das Gesicht des Mannes verunstaltet; er holt einen Apfel aus seiner Tasche, schneidet ihn in Scheiben und isst ihn gleichmütig. Er denkt dabei wohl an die Zeit der Weinlese Zuhause; im Weinberg - das Mädchen hatte ihn angelächelt. Wie zufällig fällt sein Blick auf den alten Juden, er verscheucht das seltsame Gefühl, lacht auf und krakeelt die Stürmersprüche. Seine Stimme wirkt gepresst, auch vibriert sie leicht, der Schluck aus der Schnapsflasche macht sie fest.

 

Heinz,

du musst dich nicht quälen; deine Scham ist die kleine Pflanze, nach der der Stiefel des Blindwütigen tritt.

Ihr Duft bleibt und die Luft wird hell um sie.

 

 

                                                                                                Mooswaldklinik, 3.8.2002